Eine Brücken-Ruine
Andrew U. Frank

Vorwort

Was kann eine Analyse der gegenwärtigen Situation über die Zukunft sagen? Hilfte ein Analyse wahscheinliche, zukünftige Entwicklungeb vorher zu sehen? Der Fokus liegt auf der Weltwirtschaft, der Globalisierung und der gegenwärtig beobachteten zunahme der Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen. (pdf)

2023-04-08

Warum eine Analyse?

Die Welt scheint nicht mehr im Gleichgewicht zu sein:

Die Veränderungen, die wir in den letzten Dekaden erlebt haben, verschieben das weltpolitische Gleichgewicht. Eine systematische und umfassende Analyse des Zustandes der Welt und der Kräfte, die zu Veränderungen führen können, sollte erlauben, bestimmte Entwicklungen vorherzusehen, oder zumindest Szenarien von Kombinationen von wahrscheinlichen zukünftigen Zuständen erkennen lassen und so geplante Aktivitäten zu beurteilen.

Es müssten die Mechanismen, die gegenwärtig Veränderungen verursachen, aufgezeigt werden; dabei gehe ich davon aus, dass Entwicklungen der Technik im weitesten Sinne Auslöser für die Änderungen sind.

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Analyse umfasst Zustände und Veränderungen

Eine Weltordnung ist ein dynamisches System und mit den Mitteln der Systemanalysehttps://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie

zu analysieren.Dynamische System werden, im abstrakten und allgemeinsten, durch Systeme von partiellen Differentialgleichungen beschrieben. Solche Gleichungen beschreiben verschiedene Grössen[https://en.wikipedia.org/wiki/Stock_and_flow], die eine erste Anleitung für die Analyse liefern:

Beschreibungen dynamischer Systeme lassen sich in formale Modelle umsetzen und quantitativ auswerten. Diese Verfahren der Modellierung dynamischer Systeme wurden z.B. für den für mich wichtigen Bericht Grenzen des Wachstums des Club of RomeMeadows et al. (1972)

verwendet und sind heute allgemeine Praxis.Ich hatte etwa 1976 Gelegenheit an der ETH Zürich an einer Simulation der Entwicklung der Stadt, bei der Forrester’s Urban Dynamics (1970) zur Anwendung kamen und die Veränderungen vom Rechenzentrum der ETH berechnet wurden.

Die Schwierigkeit bei der Analyse sozialer Systeme, und die Weltpolitik ist unzweifelhaft ein solches, sind die Quantifizierungen. Die wenigsten Grössen lassen sich genau messen, oft ist nicht einmal klar, welche Grössen denn zu Messen wären.

Immerhin kann auch eine qualitative Aussage über Grössen und Veränderungen in einem Gebiet mit grosser Unsicherheit ein Wissenszuwachs bringenEine formale Theorie wurde von Kuipers beschrieben(Kuipers 1994).

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Was kann erreicht werden?

Die Analyse kann systematisch den Zustand der Welt, der Verteilung der Ressourcen zu einem Zeitpunkt, erfassen. Der Zustand der Welt ist fest und kann, im Prinzip, beobachtet werden. Nicht alles ist bekannt, manches wird mit Absicht geheimgehalten und viele Daten sind nicht in einer Form vorhanden, die es leicht macht, sie mit andern zu vergleichen und Schlüsse zu ziehen. Diese Hindernisse und ihr Einfluss kann aufgedeckt werden.

Schwieriger ist Erfassung der Kräfte, die auf eine Veränderungen der Zustände abzielen und oft werden qualitative Beurteilungen ausreichen müssenQualitativ meint hier z.B. Aussagen wie, je mehr Wärme zugeführt wird, desto schneller kocht das Wasser, die oft einleuchtend sind, auch wenn eine quantitative Beschreibung schwerfällt(Kuipers 1994).

. Dass die Akteure oft ein vitales Interesse haben, dass ihre Handlungen verborgen bleiben, erschwert die Analyse weiter.

Pragmatisches Vorgehen: Was ist am wichtigsten?

Mein Vorgehen ist pragmatisch: ich versuche

Die Analyse erfordert immer wieder den Vergleich von Quantitäten wie Bevölkerung, Bruttosozialprodukt etc. die jenseits unserer täglichen Erfahrung. Die Grössenordnungen verwirren da sie jenseits unserer täglichen Erfahrung liegenWie soll man sich eine Million oder Trillion bildlich-emotional vorstellen?

. Ich hoffe, ein quantitatives Grundschema für die wichtigsten Prozesse der Welt zu erreichen und sinnvolle und erinnerbare Verhältnisse zu findenZ.B. Was ist das Verhältnis von Nahrungsmittelkonsum zu Bildungsausgaben in einem Land?

Szenarien möglicher Entwicklungen schliessen unwahrscheinliche zukünftige Zustände aus

Szenarien skizzieren mögliche Entwicklungen. Ihr Wert besteht vor allem darin, dass sie Kombinationen von zukünftigen Zuständen, die kaum gleichzeitig erreicht werden könne, ausschliessen. Szenarien zeigen, welche Abhängigkeiten zwischen zukünftigen Zuständen bestehen.

Eine Analyse, die nur zeigt, welche zukünftigen Zustände sehr unwahrscheinlich sind, wäre schon hilfreich.

Daten

In einer Zeit, in der die Verlässlichkeit von Daten diskutiert wird und neben Fakten auch alternative Fakten vorgelegt werden versuche ich:

Was ist die Aufgabe von Politik?

Ich schreibe diesen Text wohl auch um herauszufinden, was ich über die Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft weiss und welches die Grenzen meines Wissens sind. Ich hoffe, erkennen zu können, was die Grenzen des Wissens in diesem Gebiet sind.

Ich möchte mit diesem Text auch prüfen, wieweit mein Geschichtsverständnis konsistent und überzeugend dargestellt werden kann. Ich postuliere, dass Geschichte durch technologische NeuerungenIch verstehe hier Technologie im weitesten Sinn, umfassend Technik im landläufigen Sinne aber auch soziale Techniken und Institutionen, wie sie Douglas North darstellt(Douglass C. North 1981; Douglass C. North 2005)

vorangetrieben wird und Gesellschaftssysteme in einem evolutiven Wettbewerb stehen, wobei die überleben, die für die grösste Zahl ihrer Mitglieder die besten Lebensbedingungen schaffen.

Ich bemerke, dass die öffentliche Diskussion einige Themen überbewertet und ihnen Raum einräumt, den sie nicht verdienen, während andere Themen, die mir wichtig schienen, in den Medien und auch der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Diskussion nicht vorkommen. Ich frage mich, ob das systematisch ist und ob es dafür Gründe gibt? Jedenfalls hat die öffentliche Diskussion eine begrenzte Kapazität für Themen: ein Thema, dass die Diskussion dominiert schliesst andere aus.

Ich komme zum Schluss, dass die Politik zwei Entscheidungen treffen muss, die nicht rational argumentiert, sondern nur in einem politischen Prozess geregelt werden können:

Politik muss Aufteilung des in der Gesellschaft geschaffenen Mehrwertes bestimmen

Die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und vor allem Vermögen auf der Welt scheint mir sozial gefährlich; glücklicherweise hat diese Frage in der Öffentlichkeit schon Beachtung gefunden.Z.B. Mit dem Buch von Scheidel(Scheidel 2018).

Die Frage der Verteilung des in einer Gesellschaft geschaffenen Mehrwertes zwischen Kapitalrente und Arbeitslohn kann nicht mit einem rationalen Argument beantwortet, sondern scheinbar nur durch eine politische Auseinandersetzung erfolgen. Die Beurteilung einer Aufteilung kann nur im langfristigen Verfolgen der Entwicklung einer Gesellschaft erfolgen.Ich schliesse mich Harari (Harari 2018) mit der Sicht, dass nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Länder und dann nach der Präsidentschaft Trump keine global stories mehr zur Orientierung dienen könnten; die Sicht scheint mir zusehr auf die USA fixiert und ignoriert die europäische Linie der sozialen Marktwirtschaft. Ich sehe auch heute drei Narrative im Angebot: Kapitalismus der anglo-amerikanischen Prägung, die soziale Marktwirtschaft der EU und die Sicht Chinas (und Indiens).

Nachdem die extreme Lösung der Sozialisierung des Mehrwertes in den kommunistische regierten Ländern Schiffbruch erlitten hat, sind zwei Lösungen – Kapitalvorherrschaft in den USA und soziale Marktwirtschaft in der EU – im Test. Wie die Lösung in der Volksrepublik China zu beurteilen ist, ist im Moment offen: kapitalistischer Kommunismus, kommunistischer Kapitalismus oder kommunistisch-kapitalistische Diktatur?

Politik muss Geschwindigkeit, mit der Neuerung integriert werden, festlegen

Eine andere ähnliche Entscheidung besteht möglicherweise bei der Bestimmung der optimalen Geschwindigkeit der Erneuerung in einer Gesellschaft.Eine Gesellschaft muss die Geschwindigkeit der Modernisierung festlegen, damit die Kosten der Änderungen von der Gesellschaft getragen werden können. Eine grössere Gruppe schafft die Grundlage der Gesellschaft und sichert ihr tägliches Überleben; eine kleinere Gruppe der Künstler und Wissenschaftler versucht andere Lösungen; was sich bewährt wird langsam in den Bestand an Regeln der Gesellschaft übernommen. Die Gesellschaft behandelt die kleinere Gruppe mit Toleranz und gibt ihr die Mittel zum Experimentieren.

Die Regeln einer Gesellschaft sind m.E. prinzipiell immer verbesserbar (Popper 2003) und werden auch ständig verändert, vielleicht mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensumstände, aber vielleicht nur für einen Teil der Gesellschaft.

Neue Ideen wachsen nur, wenn ein freier Austausch möglich ist undErfindungsgeist angemessen belohnt wird; Zensur der Kommunikation behindert das Erfinden neuer Lösungen.

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Die Integration neuer Ideen in eine Gesellschaft verändert Werte, bürdet den Verlierern Kosten auf und schafft Möglichkeiten für andere. Meist wird Reichtum umverteilt aber selten wird die Ungleichheit der Verteilung verändert.(Scheidel 2018) Diese Überlegungen werde ich hier ausklammern und später ausarbeiten.Ich könnte mir vorstellen, dass die Differenz zwischen EU und China in der persönlichen Freiheit liegt, die m.E. Voraussetzung für neue Erfindungen ist; möglicherweise ist eine Aufteilung in Sektoren, in denen rasche Erneuerung und andere, in denen keine Entwicklung erwünscht ist, möglich. Die USA versuchen wahrscheinlich eine, im Detail andere, sektorale Freiheit: im technischen Bereich ist rasche Entwicklung erwünscht, weil sie Gewinne für Kapitaleigentümer erlaubt, im sozial-politischen Bereich hingegen nicht, weil sie die Gewinne des Kapitals reduzieren.

Darstellung

Die Organisation des Textes ist durch die typographischen Konzepte von Ewald Tufte (Tufte 1990) auch inhaltlich beeinflusst: Die Möglichkeit von side notes rechts vom Text in einem breiten Spalte anzuordnen, erlaubt mir, im zentralen Textblock einen durchlaufenden Text anzustreben und alle Erklärungen, Beispiele und ähnliche Hinweise auf der Seite und in etwas kleinerer Schrift, auszulagern.

Einige unnummerierte Kapital habe ich mit Zur Illustration gekennzeichnet und sie können bei einer sequentiellen Lektüre ohne Verlust weggelassen werden.Andere typographischen Eigenheiten sind mir von Einschränkungen der Hilfsmittel aufgezwungen:

Forrester, Jay W. 1970. “Urban Dynamics.” IMR; Industrial Management Review (Pre-1986) 11 (3): 67.
Harari, Yuval Noah. 2018. 21 Lessons for the 21st Century:’truly Mind-Expanding... Ultra-Topical’guardian. Random House.
Kuipers, Benjamin. 1994. Qualitative Reasoning: Modeling and Simulation with Incomplete Knowledge. MIT Press.
Meadows, Donella H., Dennis l. Meadows, Jorgen Randers, and William W. Behrens III. 1972. Limits to Growth. Universe Books.
North, Douglass C. 2005. Understanding the Process of Economic Change. Princeton university press.
North, Douglass C. 1981. Structure and Change in Economic History. W W Norton & Co.
Popper, Karl R. 2003. Die Offene Gesellschaft Und Ihre Feinde: Der Zauber Platons. Vol. 1. Mohr Siebeck.
Scheidel, Walter. 2018. Nach Dem Krieg Sind Alle Gleich: Eine Geschichte Der Ungleichheit. Translated by Stephan Gebauer. Darmstadt: wbg Theiss.
Tufte, E. R. 1990. Envisioning Information. Graphics Press.
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